Im Türalirium - Stiftung Ferien im Baudenkmal

Im Türalirium

Er hat sich in einer Woche dreimal viermal den Kopf angeschlagen und will nun die Stiftung verklagen. Der Deutschschweizer Satiriker und Komiker Renato Kaiser hat eine Woche im Türalihus verbracht und eine ehrliche Kritik geschrieben.

Renato Kaiser, Satiriker und Komiker

Ich werde die Stiftung Ferien im Baudenkmal verklagen. Denn sie hat mich übers Ohr gehauen. Also über dem Ohr, genauer gesagt, auf den Schädel geschlagen, mitten auf den Kopf, mit einem stumpfen Gegenstand. Und der stumpfe Gegenstand war: Das Haus. Das Türalihus hat mir eins übergezogen. Na gut, nicht direkt. Es ist dagestanden und ich bin in das Haus hineingerannt. Kopf voran. Ich habe den Zidane gemacht, satter Kopfstoss mit Anlauf, nur war auf der anderen Seite kein weicher Materazzi, sondern das massive Türalihus. Dementsprechend ist es nicht – wie der spätere italienische Weltmeister – direkt zusammengebrochen und ich habe nicht wie Zidane Rot gesehen, sondern Schwarz. Mit Sternchen.

Apropos Sternchen. Was ist jetzt mit der Bewertung? Wie viele Sternchen gibt’s? Und überhaupt: Was ist denn das für eine Review hier? Hab ich etwa den ersten Satz nur so geschrieben, damit Sie weiterlesen? War das nur billiges Clickbait? Nun, Sie denken richtig! Sehr schlau, bravo, Ihr Gehirn funktioniert einwandfrei. Offensichtlich haben Sie sich noch nicht den Kopf am Türalihuus angehauen, so wie ich es getan habe. Und zwar: Dreimal. Yep. Offensichtlich habe ich mir den Kopf so fest angehauen, dass ich es gleich wieder vergessen und mir den Kopf dementsprechend gleich noch zweimal angehauen habe. Nach dem Motto: Wer sich den Kopf anhaut und sich danach daran erinnert, dass er sich den Kopf angehauen hat, hat sich offensichtlich den Kopf nicht fest genug angehauen. Langer Rede kurzer Sinn: Ich bin nach Valendas gefahren, um den Kopf freizubekommen und das Türalihus hat ganze Arbeit geleistet.

Ich glaube, ich kann sagen, dass ich hier eine der schönsten Ferienwochen meines Lebens verbracht habe.

In jeglicher Hinsicht. Ich glaube, ich kann sagen, dass ich hier eine der schönsten Ferienwochen meines Lebens verbracht habe. Dass ich jeden Tag vier bis acht Stunden wandern war, dass ich die Brüner Alp bestiegen, die Rheinschlucht erobert, den Caumasee besucht und in der Crap Signina sinniert habe. Und dass mich dieses Haus mit seinem schieren Alter, seinem unverputzten Charme, seiner rauchig robusten Küchenhöhle, mit seiner musealen Mélange aus hartem Stein und weichem Holz, mit seiner antiken Gemütlichkeit verzaubert hat. Ich glaube, dass ich das sagen kann. Wer weiss. Vielleicht hab ich das alles in meinem Delirium nach den drei Gehirnerschütterungen auch einfach nur geträumt.

„Aber Renato, wie hast Du Dir denn eigentlich Deinen Kopf angehauen?“, fragt eine Person, die tatsächlich bis zu diesem Punkt weitergelesen hat. Nun, kurz gesagt: Ich bin nicht besonders schlau und die Türrahmen hier sind nicht besonders gross. Darum heisst es übrigens auch Türalihus. Wegen den kleinen Türali (lassen Sie sich nichts anderes erzählen).

Möglicherweise haben sich die Leute hier zu sehr an die jenseitig paradiesische Landschaft gewöhnt.

Das führt uns schlussendlich zur grossen Frage: Warum hat das Türalihus so kleine Türali? Nun, da muss ich noch ein letztes Mal ein bisschen ausholen. Kennen Sie diese Leute, die nach ihren Bergbesteigungen sagen, dass sie diese Erfahrung so demütig gemacht habe? Die von einem Berg runterschauen und von der Monumentalität des Moments dermassen überwältigt sind, dass sie merken wie klein und unwichtig alles ist, inklusive sie selbst? Und die dann aber gleichzeitig so wahnsinnig stolz auf diese Erkenntnis sind? Da denk ich mir: Aha. Und dafür musstest Du auf einen Berg klettern? Um zu merken, dass sich die Welt nicht nur um Dich dreht? Um Dich klein und unwichtig zu fühlen? Ja herzlichen Glückwunsch. Dafür muss ich nicht acht Stunden wandern. Da kann ich auch zwei Stunden vor 17 missgünstigen Leuten in einem versifften Kabaretttheater meine Soloshow spielen. Und auch sonst: Ich komm mir selten so gross und wichtig vor, dass es ein Millionen Jahre altes, zu tausenden Meter hoch zusammengewuchtetes Gebirge braucht, um mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Aber ich komme auch aus der bodenständigen Bodenseeregion. Vielleicht ist das im grössenwahnsinnigen Graubünden anders. Möglicherweise haben sich die Leute hier zu sehr an die jenseitig paradiesische Landschaft gewöhnt, sie so selbstverständlich genommen und sich dermassen ignorant erhaben gefühlt, dass ihnen das Ego gestutzt werden musste. Durch kleine Türali. So eine Natur haben UND dann auch noch aufrecht durch Türen gehen? Nein, die sollen sich gefälligst jedes Mal kurz verbeugen, bevor sie in die majestätische Landschaft entlassen werden. Oder sonst eins auf den Deckel kriegen – so wie ich.

Nur: Dieses sich-klein-vorkommen, weil etwas so gross ist… Bei mir war es genau anders. Ich fühlte mich nicht nur nie besonders gross, ich war das auch nie! Aber hier, im Türalihus habe ich mir mit meinen bescheidenen 1.70m mittlerweile viermal den Kopf angehauen. Das ist mir noch nie passiert. Ganz ehrlich: So gross hab ich mich noch nie gefühlt. Dafür vielen Dank!

Bleibt also zum Schluss nur noch die Frage: Werde ich die Stiftung Ferien im Baudenkmal wirklich verklagen? Selbstverständlich. Das Türalihus ist eine Körperverletzung. Denn: Es sticht ins Auge. Und ins Herz. Ich bin verliebt.

Mehr über Renato Kaiser erfahren Sie auf seiner Website www.renatokaiser.ch